Kantate! Singet!
Die Natur erwacht, „das Erdreich decket seinen Staub mit einem grünen Kleide“ – singen wir mit einem Lied Paul Gerhardts. Und weiter: „Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinne. Ich singe mit, wenn alles singt und lasse, was dem Höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen“ (Evang. Gesangbuch 503).
Beides hängt für uns als Christinnen und Christen zusammen: Die Freude über das Grünen und Blühen in der Natur und die Dankbarkeit, dass Gott uns in unserem Leben begleitet – wie man sehr schön an der Natur sieht, die uns zum Lob Gottes führt.
Das Singen ist aber anders in diesem Jahr. Statt fröhlichem gemeinsamen Gesang in den Gottesdiensten versammelt sich eine begrenzte Zahl Menschen, um mit Mundschutz und Sicherheitsabstand gemeinsam zu feiern – ohne Gesang. Die Posaunenchöre, wichtige Begleiter des Gesangs bei den Gottesdiensten in der Natur, haben ihr Spiel eingestellt: zu gefährlich.
Und ganz aktuell: Wenn drei Jugendliche bei einem Autounfall sterben und einer schwer verletzt wird: wie kann man da noch singen?
Es ist zeitweise schwer, fröhliche Lieder von Gottes Schöpfung zu singen – und manchmal ist es auch unmöglich. Aber wir können singen – jede und jeder die Lieder, die er, die sie jetzt braucht. Denn es gibt Lieder, mit denen wir unsere Freude ausdrücken können wie auch Lieder, die uns ansprechen, wenn wir sehr traurig sind.
Von König Saul wird in der Bibel berichtet, dass ihn ein Geist Gottes überfiel und niederdrückte. Wenn dann David die Leier nahm und darauf spielte, fühlte sich Saul erleichtert. Es ging ihm wieder gut und der böse Geist verließ ihn (1. Samuel 16, Vers 23). Musik – vor allem uns bekannte Lieder – können uns helfen, wenn es uns schlecht geht, wenn wir niedergeschlagen sind.
„Singet unserem Gott ein neues Lied, denn er hat wunderbare Taten vollbracht!“
Diese Aufforderung begleitet uns als Wochenspruch durch die kommende Woche.
Ein neues Lied.
Das ist mein eigenes Lied.
Wie oft werden die falschen Lieder gesungen: Lieder, die Despoten singen lassen – man denke an das Ende des 2. Weltkriegs am Freitag vor 75 Jahren. Aber auch Kirchenlieder, die mich in die Verzweiflung treiben statt zu trösten, beispielsweise, weil der dort besungene Gott mich nicht stärkt, sondern klein macht, oder auch, weil das Lob auf Gottes Größe und seine weisen Pläne in meiner Kehle steckenbleibt, für mich gerade jetzt so zynisch klingt.
Ich singe die Lieder mit: weil man das so macht, weil es vielleicht anderen guttut – und mir doch auch gut tun müsste. Und es führt mich doch immer weiter weg von dem Gott, der mich sucht, der mir beistehen will.
Ein neues Lied. Das ist mein Lied von den Erfahrungen, die ich mit Gott gemacht habe und gerade mache. Das kann ein schönes, fröhliches Lied sein. Das kann aber auch ein Lied sein, in dem meine Verzweiflung Töne bekommt.
„Singet unserem Gott ein neues Lied, denn er hat wunderbare Taten vollbracht!“
In mich hineinhören. Auf meine Stimmung hören, auf das Lied, das gerade in mir erklingt.
Wenn ich dieses neue Lied, wenn ich mein Lied singe, dann wird sich eine zweite Stimme dazugesellen – mal kaum zu hören, dann aber auch deutlich zu vernehmen, mal unterstützend, mal führend, mal kontrapunktisch. In meinem Lied erklingt das Lied von Gottes neuer Welt.
So singe ich von den Wundern Gottes: nicht nur, wenn ich lobe und danke, sondern auch, wenn ich bitte und flehe – also gerade auch in schweren Zeiten.