Die Bibel ist eine Sammlung von Geschichten, die Menschen mit Gott erlebt und die sie weitererzählt haben. Schließlich wurden sie aufgeschrieben. Damit hat eine bestimmte Deutung dieser Erlebnisse seine feste Form gefunden.
Für uns werden diese Geschichten bedeutsam, wenn wir sie in Verbindung mit dem bringen, was wir heute erleben. Und diese Verbindungen knüpfen wir auf die unterschiedlichste Art und Weise.
Im Markusevangelium heißt es:
Jesus sagte:
„Ist die Lampe etwa dazu da, um sie unter einen Topf oder unters Bett zu stellen? Nein, sie wird auf den Lampenständer gestellt!“
Tradition – die Verbindung zwischen uns und den Geschichten
Eine Verbindungslinie zwischen den Geschichten und uns ist die Tradition: Etwas Vertrautes sprechen wir nach ‑ dadurch gibt es uns Geborgenheit und Sicherheit.
Vielleicht waren Sie etwas unsicher, als ich eben das Wort Jesu aus dem Markusevangelium vorgelesen habe: Das Bild kam ihnen bekannt vor ‑ aber…?
Und Jesus sagte: „Zündet man etwa ein Licht an, um es unter den Scheffel oder unter die Bank zu setzen? Keineswegs, sondern um es auf den Leuchter zu setzen.“
Ein Licht ‑ sein Licht unter den Scheffel stellen ‑ das ist ein Ausdruck, den wohl die meisten von Ihnen kennen. Dass ein Scheffel ein Maß für trockene Dinge ist und etwa 39 Liter beinhaltete, ist nicht unbedingt wichtig, um zu verstehen, was dieser Ausdruck sagt: Wer sein Licht unter den Scheffel stellt, der traut sich zu wenig zu; die kann mehr, als sie zugibt; derjenige gilt als bescheiden ‑ ja, will sich bitten lassen.
Tradition ist trügerisch
In der Tradition zu stehen verleiht Sicherheit und Geborgenheit ‑ doch beides kann auch trügerisch sein. Das wird an diesem Beispiel ebenfalls deutlich.
Sein Licht unter den Scheffel stellen ‑ eine Lampe unter einen Topf oder ein Bett stellen…
Erstes ‑ die Rede vom Scheffel ‑ bezeichnet eine falsche, manchmal auch gespielte Bescheidenheit. Letzteres ‑ die Rede von der Lampe unter Topf und Bett ‑ klingt irgendwie selbstverständlich, fast zu banal, als dass es Jesus gesagt haben könnte.
Es ist widersinnig …
Und doch meint dieses Wort Jesu genau das:
Es ist widersinnig, eine Lichtquelle zum Leuchten zu bringen und dann an einen Ort zu stellen, wo sie nichts erleuchten kann.
Es ist widersinnig, zu glauben, Gottes gute Nachricht für uns Menschen könne sich nicht in der Welt durchsetzen ‑ zwar bringt nicht alles, was gesät wird, gute Frucht. Aber einiges wird wachsen, von selbst ‑ keiner weiß, wie – sagt Jesus kurz zuvor.
Es ist widersinnig, anzunehmen, dass die Geschichten der Bibel für uns bedeutungslos seien: Sie sprechen uns an. Und wenn wir uns um sie bemühen, dann verstehen wir sie ‑ und die Geschichte baut eine Brücke zu unserer Gegenwart, die wir durch sie besser deuten können.
Es ist widersinnig, davon auszugehen, dass Gottes gute Nachricht wie ein Licht ist, das einzelnen Menschen den Weg zeigt. Es setzt kraftvoll alles Dunkle, alle gesellschaftlichen und politischen und wirtschaftlichen Machenschaften und Herrschaftsinteressen ins rechte Licht.
Glaube lebt nicht für sich allein
Es ist widersinnig, seinen Glauben für sich allein zu leben. Jede und jeder von uns sucht nach dem Licht, nach Gottes neuer Welt. Wir können sie nur finden, wenn wir gemeinsam suchen ‑ uns gegenseitig helfen und beistehen. Und manchmal auch, indem wir anderen sagen, wo es lang geht. Nicht, weil wir den richtigen Weg kennen. Wir gehen ihn mit dem Risiko, in die falsche Richtung zu laufen und mit der Hoffnung, dass uns immer wieder Lichter den richtigen Weg zeigen.
Sein Licht unter den Scheffel stellen
Es ist widersinnig, unser Licht unter den Scheffel zu stellen ‑ eine Lampe anzumachen und dann einen Topf darüberzustülpen.
Warum machen wir es immer wieder?
von Pfr. Kai Uwe Schröter