Am Anfang steht der Hunger!
Er ist unser Antrieb, unser Lebensmotor. Wer satt ist, der ist vielleicht zufrieden, auf alle Fälle aber träge und rafft sich zu nichts mehr auf.
Hunger setzt in Bewegung
Am Anfang steht der Hunger! Abraham musste nach Ägypten ziehen, weil im Lande Kanaan eine große Hungersnot ausbrach. Und einige Generationen später ziehen die Söhne Jakobs nach Ägypten, weil es heißt, dass dort ein geschickter Verwalter in den sieben fetten Jahren Vorräte angelegt hat, die er nun nach und nach verteilt – sie wissen jedoch nicht, dass es ihr Bruder ist, den sie aus Neid einer Karawane als Sklave verkauft hatten.
Beiden Geschichten ist gemeinsam: Der Hunger treibt die Menschen an. Sie machen sich auf den Weg und erleben etwas besonderes: sie ziehen reich beschenkt zurück in ihr Land.
Noomi und Rut – Hunger nach gelingendem Leben
Und wieder einige Zeit später verlässt ein Mann mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen den Ort Bethlehem . Und das ist besonders bitter, denn der Name Bethlehem bedeutet: „Haus des Brotes“ In der Fremde erging es ihnen nicht gut: Elimelech starb, Noomi stand mit ihren beiden Söhnen allein da. Die Söhne heirateten zwar, aber bald darauf starben sie kinderlos. Niemand war da, der ihre Frauen Orpa und Rut und ihre Mutter Noomi versorgen konnte. Ja, das Los der beiden jungen Witwen war es, in das Haus ihrer Mutter zurückzukehren und dort zu warten, bis ein anderer Mann sie heiratet.
Noomi hat gehört, dass es in ihrer Heimat wieder genug zu essen gibt und macht sich auf den Weg. Ihre Schwiegertöchter begleiten sie. Unterwegs bittet Noomi die beiden, doch umzukehren. Nach einigem Hin und Her entschließt sich Orpa, zurückzukehren. Rut jedoch lässt sich dazu nicht bewegen: Sie will mit ihrer Freundin und Schwiegermutter ziehen, wohin die auch immer ziehen wird…
Wissenshunger
Am Anfang steht der Hunger – das gilt nicht nur materiell, das gilt nicht nur körperlich. Wir sprechen auch von Wissenshunger und Wissensdurst. Beides ist notwendig, damit unsere Erkenntnisse von der Welt, damit sich unsere Wissenschaften weiterentwickeln. Beides ist aber auch notwendig, damit jeder Mensch seinen Platz in der Gesellschaft findet: Ein Kind hat einen ungeheuren Wissensbedarf, den wir leider oft mit „neugierig“ umschreiben, wobei dieses Wort eher einen negativen Beigeschmack hat. Unser Hunger, mehr wissen zu wollen, entstammt dem Gefühl, dass sich unsere Welt nicht in dem erschöpft, was uns vor Augen ist. Wir wissen: Es gibt mehr. Es gibt etwas dahinter. Unser Leben hat einen Sinn. Den suchen wir.
Zachäus – der Hunger nach Teilnahme
Diesen Hunger hat auch der Zöllner Zachäus gespürt. Er hatte eine Außenseiterrolle in der Gesellschaft. Er arbeitete mit den Römern zusammen, die das Land besetzt hatten und die versuchten, den größtmöglichen Nutzen aus diesem Land zu ziehen.
Aber nun verlässt er die schützenden Mauern und geht unter die Leute – nicht direkt, sondern mit einigem Abstand, in sicherer Höhe. Er will nicht mitmachen. Er will beobachten, will Jesus sehen. Doch wer sich auf den Weg macht, geht ein Risiko ein: das Risiko, dass etwas passiert, was uns verändert. So auch bei Zachäus: Auf einmal ist er Teil des Geschehens, ja kurze Zeit später ist er sogar der Mittelpunkt. Und das hat ihn völlig verändert.
Aufstehen oder sitzenbleiben?
Die Geschichten von Abraham, Joseph und seinen Brüdern und von Noomi und Rut und von Zachäus verbinden sich mit unserem Leben.
- Wir können zuhause auf dem Sofa bleiben – es gibt oft soviele Gründe, die dagegen sprechen, sich aufzumachen. Wir können uns aber auch aufmachen – angetrieben vom Hunger nach neuen Erlebnissen und Begegnungen. Das ist eine wichtige Lebenseinstellung, die ich auf viele Bereiche übertragen kann:
- Der Zöllner Zachäus hätte Zuhause seine Ruhe haben können, statt dass er sich unter die Menschen begab, die gar nicht gut auf ihn zu sprechen waren.
- Rut hätte zu ihrer Mutter zurückgehen und dort auf einen Mann warten können. Sie wäre dann passiv gewesen, abhängig, ja, sie hätte sich in eine Opferrolle begeben können: So ist das Leben halt, da kann ich nichts machen. Und vielleicht hätte sie auch ein schönes Leben führen können an der Seite eines Mannes, der sie sich aussucht.
Rut wartet nicht ab, sie handelt. Sie möchte bei ihrer Freundin Noomi bleiben. Immer wieder gibt es auf dem Weg Abzweige, ist nicht klar, was richtig ist. Aber Rut ist getragen von der Kraft der Freundschaft. Sie stellt ihre Freundschaft über die Konventionen ihrer damaligen Gesellschaft. Für sie ist die Freundschaft so wichtig, dass vermeintliche oder tatsächliche Sachzwänge bedeutungslos werden.
Nicht alle können einen solchen Weg mitgehen. Orpa, Noomis zweite Schwiegertochter, ist umgekehrt. Dieser Schritt ist ihr nicht leicht gefallen. Ihr Handeln wird in der Bibel auch nicht bewertet. Wie es ihr danach ergangen ist, erfahren wir aber nicht mehr.
Rut hat den für sie richtigen Weg eingeschlagen. Sie hat ihn gehen können, so heißt es in der Bibel, weil sie einen Begleiter hatte: Gott hat vieles so gefügt, dass es für sie gut war.
„Die Trägen, die zuhause liegen…“
„Die Trägen, die zu Hause liegen, erquicket nicht das Morgenrot; sie wissen nur vom Kinderwiegen, von Sorgen, Last und Not ums Brot“ heißt es Volkslied: Wem Gott will rechte Gunst erweisen.
Wer satt ist, wird träge. Er kann sich nicht aufmachen, hat diesen Hunger, diese Vision nicht, die uns antreibt. Er bleibt bei den alltäglichen Sorgen stecken.
„Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.“ und das, weil Gott uns entgegenkommt, wenn wir uns auf den Weg machen.