In Ausnahmesituationen lernt man Menschen wirklich kennen. Die Coronazeit ist eine solche Zeit, in der man seine Menschenkenntnis deutlich erweitern kann. Ich lerne meine direkte Umwelt, die Mitmenschen, mit denen ich in der Nachbarschaft, im Dorf, im Verein, Im Kindergarten und in der Schule zu tun habe (um nur einige Beispiele) zumindest anders, vielleicht auch besser kennen.
Menschen kennenlernen: Enttäuschungen und Entdeckungen
Das bedeutet oftmals eine große Enttäuschung: Enttäuschung über Menschen, die sich auf einmal ganz anders verhalten, als ich sie einschätze, die sich als rücksichtslos und egoistisch entpuppen; aber auch Enttäuschung über mich, dass ich diese Person so falsch eingeschätzt habe. Dazu kommen oft noch Verletzungen, wenn ein solches Verhalten mich direkt betrifft.
Menschen neu und anders kennen zu lernen, kann aber auch zu positiven Überraschungen führen: Ich erlebe Menschen, die sich für andere einsetzen, selbst wenn sie sich selbst damit in Gefahr bringen; Menschen, die mir beistehen und helfen, die mich durch kleine Gesten und Worte aufbauen.
Der Mensch ist gut
Ist der Mensch von Grund auf schlecht und wird nur durch Regeln und Gesetze daran gehindert? Oder ist der Mensch eigentlich hilfsbereit und fürsorglich, kommt aber nur viel zu selten dazu?
Ich habe davon gelesen, dass Hilfe und Großzügigkeit gegenüber Bedürftigen zum Wesen des Menschen gehört.
„Wenn ihr die Ernte eures Landes einbringt, sollst du das Feld nicht bis zum äußersten Rand abernten. Du sollst keine Nachlese von deiner Ernte halten. In deinem Weinberg sollst du keine Nachlese halten und die abgefallenen Beeren nicht einsammeln. Du sollst sie dem Armen und dem Fremden überlassen. Ich bin der Herr, euer Gott.“
Verlässliche Großzügigkeit und kein berechnendes Handeln
Diese Großzügigkeit ist etwas anderes als ein Almosen. Sie ist ein erwartbares Recht der Bedürftigen, der Armen und Fremden: Sie können sich darauf verlassen, dass sie so etwas für ihren Lebensunterhalt bekommen.
Diese Weisung endet mit der markanten Aussage: „Ich bin der Herr, euer Gott.“ Das bedeutet: Weil Gott für uns sorgt, haben wir die Aufgabe, für unsere bedürftigen Mitmenschen zu sorgen.
Aus dieser Großzügigkeit gegenüber dem Fremden, dem Armen und Bedürftigen, ist mittlerweile vielerorts eine berechnende Großzügigkeit geworden: Ich verteile Wohltaten nicht an die, die etwas brauchen, sondern an die, von denen ich dann erwarte, dass sie sich bei nächster Gelegenheit revanchieren, mir einen Dienst erweisen. Und umgekehrt fühle ich mich verpflichtet gegenüber Personen, die sich mir gegenüber großzügig verhalten haben, meine, das wieder „gutmachen“ zu müssen, will keine „Schuld“, keine „Schulden“ zurückbehalten.
Demgegenüber sagt Jesus:
„Wenn du eine Tat der Barmherzigkeit tust, lass deine linke Hand nicht wissen, was deine recht macht, damit dein barmherziges Tun unauffällig bleibt. Gott, Vater und Mutter für dich, sieht das Unauffällige und wird es dir anrechnen.“
Jetzt, in der Corona-Zeit, verschärft sich die Not, steigt die Zahl der Bedürftigen. Wir können und wir sollen dazu beitragen, dass Not gelindert wird. In dieser Zeit steigt aber auch unsere Bedürftigkeit – bei vielen steht dabei die materielle Bedürftigkeit an erster Stelle. Aber auch die Bedürftigkeit nach Kontakt, nach Hilfe, nach Gemeinschaft.
Gott gibt, was wir brauchen
Jesus sagt: wenn wir Bedürftigen gegenüber großzügig sind, wird Gott uns das anrechnen. Das bedeutet: wir können dann auch darauf vertrauen, dass uns Großzügigkeit erwiesen wird, dass uns jemand beisteht – vielleicht geschickt von Gott. Sicherlich können wir es nicht verlangen, können nicht sagen: „Lieber Gott, ich bin so großzügig gewesen, habe so viel Gutes getan – nun bin ich auch einmal dran, will etwas zurück bekommen.“
Wir können uns vielmehr betend an Gott wenden, beispielsweise mit den vertrauen Worten: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Und dann können wir in dem Vertrauen leben, dass auch wir das bekommen, was wir für unser Leben brauchen.