Fasching bewegt in diesen Tagen viele Gemüter – wenn auch in diesem Jahr mehr angesichts der Frage, wie diese Tage angesichts der Corona-Einschränkungen gefeiert werden können. Prunksitzungen werden veranstaltet und im Fernsehen übertragen – jedoch ohne Publikum vor Ort. Und eigentlich sollten am kommenden Montag in vielen Orten die Rosenmontagsumzüge starten. Wie stehen wir als evangelische Christinnen und Christen zu dieser sogenannten „5. Jahreszeit“?
Ist Fasching, Fastnacht oder Karneval eine christliche Festzeit?
Die Antwort darauf kann ich nicht eindeutig geben ‑ und ich möchte es mir auch nicht so leicht machen, mit wenigen Sätzen eine Antwort zu geben ‑ der Sachverhalt ist weder einfach noch eindeutig.
Ein erster Versuch einer Antwort: Fasching, Fastnacht und Karneval haben nichts mit christlichen Festen zu tun.
Dafür sprechen einige der Bräuche:
Die närrische Zeit beginnt am 11.11. um 11.11 Uhr. Die 11 ist die Zahl der Narren. Die offizielle närrische Zeit mit Bällen und Karnevalssitzungen beginnt am 07. Januar, nach dem Dreikönigsfest. In Düsseldorf, Köln oder Mainz machte man sich bei den Rosenmontagszügen sei dem 19. Jahrhundert besonders über die Politik lustig. Die Leibgarden der Karnevalsprinzen tragen ähnliche Uniformen wie die der Bürgerwehr oder der Stadtsoldaten von damals. Die Menschen mussten sich gegen die französischen Soldaten des Kaiser Napoleon durchsetzen. (Napoleon hatte 1806 das Rheinland besetzt und die Menschen halfen sich, indem sie kräftig über die Besatzer herzogen.)
Sehr deutlich wird der politische Spott bis heute bei den Karnevalswagen der Rosenmontagszüge: Riesige Figuren aus Pappmaschee machen unübersehbar deutlich, was den Menschen nicht passt.
Auch in der schwäbisch‑alemannischen Fastnacht zwischen Neckar und Bodensee finden am Rosenmontag Umzüge statt. Seit dem frühen Mittelalter ziehen dabei unheimliche Masken durch die Straßen: Teufel, Hexen oder Tiere wie der Esel bewegen sich zum Narrenmarsch und machen dabei mit Rasseln, Schellen oder Peitschen einen Höllenlärm.
Viele Bräuche gibt es in dieser Zeit, die nichts mit christlichen Festen und christlichem Glauben zu tun haben.
Ein zweiter Versuch einer Antwort: Fasching, Fastnacht und Karneval haben sehr wohl etwas mit christlichen Festen zu tun.
Das wird vor allem am Aschermittwoch deutlich, an dem sprichwörtlich „alles vorbei“ ist. Denn am Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit. Seit dem 11. Jahrhundert ist es vor allem in der römisch‑katholischen Kirche Brauch, dass der Priester in einem Gottesdienst den Gläubigen ein Aschenkreuz auf die Stirn zeichnet. Dabei spricht er: „Gedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst.“ Asche ist ein Sinnbild für Vergänglichkeit und Tod. Mit diesem Aschenkreuz werden die Christen daran erinnert, dass jeder Mensch einmal sterben muss und rechtzeitig seine Sünden bereuen sollte. Redewendungen wie „in Sack und Asche gehen“ oder „sich Asche aufs Haupt streuen“ bedeuten auch heute noch, dass man etwas büßen oder für etwas einstehen muss.
Am Aschermittwoch beginnt die Bußzeit, oft verbunden mit einer Fastenzeit. Sie dauert 40 Tage bis Ostern, wobei die sechs Sonntage nicht mitgezählt werden, da sie keine Fastentage sind. Im Mittelalter aßen Erwachsene in dieser Zeit nur eine Mahlzeit pro Tag ‑ Kinder bekamen zwei. Bestimmte Speisen wie Fleisch, Milch und Eier waren verboten, ab dem 15. Jahrhundert waren dann aber Eier und Milch erlaubt. Und auch hier wird eine interessante Verbindung sichtbar: Der Begriff Karneval kommt wohl vom lateinischen Ausdruck: „carne vale“ ‑ „Fleisch ade!“
Karneval als die große Feier vor der Buß‑ und Fastenzeit hat also sehr wohl etwas mit christlichen Festen zu tun.
Ein dritter Versuch einer Antwort: Karneval hat mit christlichen Festen zu tun, ist uns Evangelischen aber fremd.
Schon der äußere Befund macht es deutlich: Karneval wird vor allem in katholischen Gegenden gefeiert: Im Rheinland sind die traditionellen Karnevalshochburgen und auch in Städten wie Fritzlar und Fulda und im uns umgebenden Westfalen, wenngleich manche Orte auch hier in der Gegend mittlerweile ebenfalls große Feiern veranstalten. Gottesdienste an Aschermittwoch sind bei uns Evangelischen eher selten.
Ich möchte diesen Befund einmal ein wenig provokant so ausdrücken: Die Katholiken können ausgelassener feiern als wir Evangelischen. Ich habe den Eindruck, dass das an grundsätzlich verschiedenen Lebens‑ und Glaubensauffassungen liegt ‑ ich stelle es sehr verkürzt da: Die Katholiken können feiern und dabei über die Stränge schlagen ‑ anschließend gehen sie zerknirscht zur Beichte, bereuen, üben Satisfaktion und sind ihre Sünden wieder los. Beichte und Lossprechung gibt es auch in der evangelischen Kirche. Sie haben aber kaum Bedeutung. In unserer Tradition ist jede und jeder für sich selbst verantwortlich und Gott unmittelbar Rechenschaft schuldig. In unserer Tradition hat sich dabei so etwas wie ein permanentes schlechtes Gewissen eingeschlichen.
So wie ich diese beiden konfessionell geprägten Lebens‑ und Glaubensauffassungen beschrieben habe, könnte der Eindruck entstehen, ich hielte das „katholische Modell“ für das bessere. Das ist aber so nicht der Fall. Sicherlich ist es besser, mal über die Stränge zu schlagen und dann wieder in Sack und Asche zu gehen, als immer mit einem schlechten Gewissen herumzulaufen. Aber: Gegenüber der römisch‑katholischen Theologie, die hinter der Beichte und Lossprechung steht, habe ich meine großen Anfragen und Bedenken. Ich kann sie aus der Geschichte verstehen aber nicht aus der Bibel begründen.
Die andere von mir als evangelisch beschriebene Lebens‑ und Glaubensauffassung halte ich auch für keine gute Alternative ‑ vielmehr ist sie für mich die Folge einer Entwicklung in eine falsche Richtung.
Ist die Karnevalszeit eigentlich eine fröhliche und ausgelassene Zeit, so ist sie es nicht in unserer evangelischen Tradition. Ich habe den Eindruck: Die 40tägige Buß‑ und Fastenzeit reicht nicht aus: Dieser Sonntag „Estomihi“ (14.02.21) heißt auch: Sonntag vor der Passionszeit, letzte Woche war der 2. Sonntag vor der Passionszeit, davor der 3. Sonntag vor der Passionszeit. Entsprechend geht es in dieser Zeit nicht um Feiern und Fröhlichkeit, sondern Wochenspruch und Thema der Gottesdienste weisen auf die Passionszeit. Und meine Suche nach Gebeten und Texten, die die Freude zum Inhalt haben, war wenig erfolgreich: Über einfache, unbeschwerte Freude konnte ich kaum etwas finden. Von Freude in Verbindung mit Leiden und Traurigkeit war da zu lesen und davon, dass die eigene Freude kein Selbstzweck sei sondern richtige Freude die sei, die wir anderen bereiten…
Fasching – eine christliche Festzeit
Einen vierten Aspekt möchte ich nun benennen ‑ und damit eine Antwort auf meine Frage geben, ob die Zeit, die Namen wie Fasching, Fastnacht oder Karneval trägt, eine christliche Festzeit sei.
In der Bibel ist uns folgende Begebenheit überliefert:
Es war an einem Tag, an dem die Jünger des Täufers Johannes und die Pharisäer fasteten. Da kamen Leute zu Jesus und fragten ihn: »Wie kommt es, dass die Jünger des Täufers und die Jünger der Pharisäer regelmäßig fasten, aber deine Jünger fasten nicht?«
Jesus antwortete: »Können die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam unter ihnen ist? Unmöglich können sie das, solange er bei ihnen ist! Die Zeit kommt früh genug, dass der Bräutigam ihnen entrissen wird; dann werden sie fasten, immer an jenem Tag
Das bedeutet: Es gibt eine Zeit des Feierns und eine des Fastens. Beides gehört zusammen, beides verdanken wir Gottes Güte. Aber eben: Beides. Wer immer mit einem schlechten Gewissen und gebückten Kopf herumläuft, bekommt einen krummen Rücken und verliert den Blick in die Ferne. Und wer immer nur feiert, bekommt Probleme mit Leber und Bauch und verliert den Sinn für den Ernst und die Tiefe des Lebens.
Feiern und fasten, Überschwang und Ernsthaftigkeit gehören zusammen, ergänzen sich gegenseitig, zeigen die Vielfalt des uns geschenkten Lebens.
Fasching, Fastnacht und Karneval vereinen christliche und so genannte heidnische Traditionen. Sie finden sich nicht in unserem evangelischen Festkalender. An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch keinen Ratschlag geben, ob und wie sie dieses Fest mit den vielen Namen feiern können.
Aber wer die Passionszeit bewusst begehen will, sollte sich vorher auch freuen und ‑ wenn ihm danach ist ‑ ordentlich feiern.