„Bringe sie zum Schweigen!“
Die Pharisäerinnen und Pharisäer in Jerusalem sind entsetzt. Jesus zieht in die Stadt ein und seine Jüngerinnen und Jünger jubeln ihm zu: „Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des HERRN. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe!“ (Lukas 19, Vers 38).
Worte sagen sie, die dem einen oder der anderen irgendwie vertraut vorkommen, denn ähnlich klingt bei der Geburt Jesu die Botschaft des Engels an die Hirten auf den Feldern: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lukas 2, Vers 14).
Frieden auf Erden?
Der Jubel der Jünger unterscheidet sich aber von der Botschaft des Engels: Hier ist der Friede „im Himmel“, der Engel verkündet „Friede auf Erden“.
Dies ist ein bedeutsamer Unterschied. Denn die Jünger jubeln Jesus beim Einzug in Jerusalem zu, dem Einzug in die Stadt, in der er bald danach gekreuzigt werden wird. Was ist seit der Geburt Jesu aus dem „Frieden auf Erden“ geworden?
Einige Zeit vor diesem Ereignis schickt Jesus seine Jünger als seine Botinnen und Boten zu den Menschen. Er sagt ihnen:
„Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus!
Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren.“
Der zugesagte Friede wird auf Söhnen und Töchtern des Friedens ruhen. Wo dieser Friede aber niemanden findet, auf dem er ruhen kann, wird er zu den Jüngern zurückkehren. Vielleicht besagt der Jubel der Jünger eben dieses: Der Friede hat auf Erden niemanden gefunden, auf dem er sich niederlassen konnte. Deshalb ist er zu Gott zurückgekehrt. Der gewaltsame Tod Jesu könnte eine solche Deutung nahelegen.
Die Steine werden schreien
Einige Pharisäer hören den Jubel der Jünger. Sie glauben nicht, dass Jesus von Gott gesandt wurde. Deshalb fordern sie ihn auf: „Meister, weise deine Jünger zurecht!“
Doch Jesus antwortet ihnen:
„Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.“
Ein starkes Bild gebraucht Jesus hier: Steine, die schreien. Steine symbolisieren Härte, Beständigkeit. Aber hier können sie nicht nur reden, sie können schreien – laut und vielleicht auch aus Verzweiflung. Auf alle Fälle aber so, dass sie gehört werden!
Interessant ist, dass dieses Bild nicht von Jesus stammt, sondern aus seiner jüdischen Tradition. Der Prophet Habakuk klagt im Namen Gottes Habsucht und Ausbeutung an. Von einem so aus Unrecht gebauten Haus sagt der Prophet:
„Es schreit der Stein aus der Mauer und der Sparren gibt ihm Antwort aus dem Gebälk.“
Der Friede Gottes ist dort nicht, wo Unrecht geschieht – Unrecht gegenüber den Mitmenschen, besonders den Fremden und Schutzbedürftigen, aber auch Unrecht gegenüber der Schöpfung. Dort kehrt er wieder zum ihm zurück.
Doch Zeugen von Gottes Frieden bleiben. Und sind wir Menschen es nicht, dann werden es die Steine sein, die Unrecht anklagen und zum Frieden rufen.
Steine als Zeugen
Die Steine – ich denke dabei an unsere Kirchen – steingewordener, aber hoffentlich kein versteinerter Glaube.
Wie viele Menschen haben gearbeitet und gelitten, wie viele haben im Laufe der Jahrhunderte Opfer gebracht, um diese wunderbaren Kirchen zu errichten.
Wie viele haben sich selbst ein Denkmal damit setzen wollen und wie viele wurden von ihnen geschunden, gequält und getötet, damit sie ein Lob auf die Herrlichkeit Gottes erschufen.
Die Steine schreien über dieses Leid, da, wo wir schweigen.
Wie vielen Menschen wurde durch kirchliche Lehren und Verkündigung und durch das Verhalten von kirchlichen „Würden“-Trägern körperliches und vor allem seelisches Leid zugefügt. Auch davon schreien die Steine, weil wir verhüllen, zurückhalten, verschweigen.
Wie viele Menschen haben in diesen Kirchen aber auch Trost und Ermutigung gefunden. Wie viele gemeinsame Gebete wurden gesprochen, wie viele Klage- und Loblieder gesungen.
Gerade in diesen Mauern wird deutlich, dass unser christlicher Glaube sich über die Generationen erstreckt: dass wir im Gottesdienst versammelt sind mit denen, die in den Jahrhunderten zu vor auch in diesen Kirchen gesungen und gebetet haben – und auch mit denen, die nach uns hier singen und beten werden.
Gottes Frieden für uns
Gott begleitet uns. Er hat uns den Frieden auf Erden zugesagt. Dass der Frieden dann wieder zu ihm zurückkehrt bedeutet, dass er in uns niemanden findet, auf dem er ruhen kann.
Das können wir uns gerade jetzt in der Passionszeit deutlich machen – in der Zeit, in der wir daran denken, wie die Welt mit Gottes einzigartigem Gesandten umgegangen ist – damals, und wie wir bis heute mit ihm umgehen.
Gott lässt uns aber nicht allein: Wenn wir schweigen, so wird er dafür sorgen, dass die Steine schreien.