Begegnungen

Mit Bibeltexten kann es einem gehen wie mit anderen Menschen, die einem begegnen: Man schaut sich kurz an – und im nächsten Augenblick hat man sich wieder vergessen.
Flüchtige Begegnungen sind das, die keinen besonderen Eindruck hinterlassen.

Es kann aber auch zu intensiveren Begegnungen kommen: Da entsteht aus einem Wortwechsel ein Gespräch – und auf einmal hat man den Eindruck auf einer Wellenlänge unterwegs zu sein. Oder man begegnet sich häufiger, findet sich sympathisch, wir führen schöne Gespräche – eine Freundschaft entsteht.
Und dann gibt es Personen, denen begegnet man hin und wieder. Aber die sind einem gar nicht so recht sympathisch. Ich möchte denen am liebsten ausweichen, aber nicht immer gelingt das. Es kommt zu zaghaften Begegnungen. Dann kann es passieren, dass ein Funke überspringt und man viel an der anderen Person entdeckt – und damit auch über sich selbst.

So kann es einem auch beim Bibellesen gehen: manches nehme ich flüchtig wahr, es setzt sich vielleicht kurz im Kopf fest, ist dann aber wieder weg. Anderes spricht mich an. Ich habe den Eindruck: das sagt mir etwas, das hilft mir.
Und dann gibt es noch die Geschichten und Abschnitte in der Bibel, die machen’s einem echt schwer. Man begegnet ihnen immer wieder und denkt: Mag ja alles richtig sein, aber das sagt mir so gar nichts… Und dann fällt der Blick nach einiger Zeit wieder auf diesen Abschnitt – und auf einmal merke ich: er spricht mich an, er spricht zu mir. Eine Freundschaft entsteht.

Unser Verstand und Gottes Weisheit

Ein solcher sperriger Abschnitt findet sich im 1. Korintherbrief. Was Paulus da schreibt, ist keine leicht verdauliche Kost, wohl eher echtes grobes Schwarzbrot:

„Die Botschaft vom Kreuz erscheint denen, die verloren gehen, als eine Dummheit. Aber wir, die gerettet werden, erfahren sie als Kraft Gottes.“
(1. Korintherbrief 1, Vers 18)

Und er fährt sinngemäß fort: Alles, was in der Welt gedacht und gesagt wird, ist dummes Zeug.
Ganz schön arrogant klingen diese Worte.
Und doch: Wenn man sich die Welt betrachtet, gewinnen diese Worte Plausibilität.

Wir Menschen vertrauen unserem Verstand. Der hat uns ziemlich weit gebracht und so glauben wir, dass wir für alles eine Lösung finden, dass es immer weiter geht und immer besser wird.
Bei aufmerksamen Hinsehen können einem da jedoch Zweifel entstehen – sowohl was die globalen Konsequenzen menschlichen Handelns betrifft als auch das Denken und Handeln im persönlichen und überpersönlichen Bereich.
Ja, vielleicht stimmt auch heute noch (oder sogar noch mehr!), was Paulus vor knapp 2.000 Jahren schrieb: Alles, was in der Welt gedacht und gesagt wird, ist – von außen betrachtet – dummes Zeug.

Paulus meint damit nicht die wunderbaren Leistungen des menschlichen Verstandes. Es geht ihm um die Haltung, die dahinter steht: Vieles, was gedacht, gesagt und getan wird hat das Ziel, die Welt zu beherrschen und dem eigenen Ego Auftrieb zu geben – kurz: ich erhebe mich über die Welt, mache sie zu einem Objekt, über das ich nach Herzenslust bestimmen und herrschen kann. Das wird am Umgang mit dem Klimawandel genauso deutlich wie bei den Hasskommentaren gegenüber anderen Menschen und Menschengruppen – um nur zwei Beispiele zu nennen.


Eine Frage der Haltung

Alles, was in der Welt gedacht und gesagt wird, ist dummes Zeug, schreibt Paulus. Und er meint damit: da, wo der Mensch sich selbst zum Maßstab aller Dinge macht, da geht er in die Irre.

Gott hat einen anderen Weg gezeigt: Die Botschaft vom Kreuz. Das kurze Leben von Jesus endete nicht mit einem Triumph. Es endete mit einem unehrenhaften Tod. Es war damit gescheitert.
Jesus hat nicht versucht, die Welt zu beherrschen, ihr seinen Willen aufzudrängen; diesen Versuchungen hat er von Anfang an widerstanden. Er wollte Gottes neue Welt vorleben – und wurde zum Opfer dieser Welt.
Doch das war nicht das Ende. Gottes Zuwendung zeigte sich darin, dass aus diesem Scheitern ein Neuanfang wurde: Jesus hat den Tod überwunden. Seitdem breitet sich die Botschaft vom Kreuz in der Welt aus.

Diese Botschaft führt zu einer anderen Haltung: Ich weiß, dass es über mir noch jemanden gibt: Gott. Ihm bin ich verantwortlich. Das begrenzt mich in meinem Denken und Handeln. Ich will nicht der Erste sein, indem ich über andere herrsche, sondern indem ich der Welt diene.
Das Wort „Demut“ beschreibt diese Haltung in besonderer Weise: nicht so, dass ich mit gebeugtem Rücken und gesenktem Blick durch die Welt laufe. Ganz im Gegenteil: Das Wort Demut bedeutet: Mut zum Dienen.
Ja, diesen Mut braucht es, um von sich selbst abzusehen und die Welt, die Mitmenschen und Gott in den Blick zu nehmen. Diesen Mut braucht es, denn das Scheitern gehört zu diesem Dien-Mut hinzu.

Die besondere Begegnung

In dieser Haltung zu leben kann schnell als Schwäche ausgelegt werden. Aber gerade diese Haltung kann eine besondere Wirkung entfalten. Das beschreibt Paulus folgendermaßen:

„Denn was an Gott als dumm erscheint, ist weiser als die Menschen. Und was an Gott schwach erscheint, ist stärker als die Menschen.“
(1. Korintherbrief 1, Vers 25)

Mit Bibeltexten kann es einem gehen wie mit anderen Menschen, die einem begegnen: Mit manchen kann man nicht auf Anhieb etwas anfangen. Aber dann, irgendwann, entdeckt man ganz besondere Seiten an ihnen, kommt es zu einer wohltuenden Begegnung.

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