Pfingsten – das Fest der Verständigung: Nach Jesu Himmelfahrt haben sich seine Jüngerinnen und Jünger ängstlich eingeschlossen. Nun ist ein großes Fest in Jerusalem. Viele Menschen aus allen Regionen der damals bekannten Welt sind gekommen.
Auf einmal entsteht ein großes Brausen. Etwas wie Flammen setzt sich auf die Jüngerinnen und Jünger. Sie werden begeistert, sind Feuer und Flamme. Sie verlassen das Haus und fangen an zu reden. Und die Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern verstehen sie, als ob sie in deren Sprache redeten. Die babylonische Sprachverwirrung ist damit zuende – so eine weitverbreitete Deutung der Pfingsterzählung.
Sprachverwirrung als Strafe Gottes?
Damals, in Babel, sollte ein Stadt gebaut werden mit einem Turm, der bis in den Himmel reicht, bis zur Sphäre Gottes. Eine besondere Machtdemonstration.
„So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.“
Doch Gott „stieg herab“, um sich das Machwerk anzusehen – es war wohl doch nicht so groß, wie die Menschen meinten! Aber was er sah, machte ihm Sorgen. Und so verwirrte er die Sprache der Menschen, sodass sie sich nicht mehr verstehen konnten. Das Vorhaben blieb unausgeführt.
Sprachverwirrung als eine Strafe Gottes?
Ich habe den Eindruck, dass diese Erzählung durch die Jahrtausende nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Schauen wir uns doch die vielen Despoten an, deren Zahl auch in Ländern und Regionen wächst, wo man es nicht für möglich hielt. Sie haben nur ein Ziel: sie wollen ihre Macht und ihren Einfluss festigen.
Ein erster und entscheidender Schritt ist dabei, die Sprache zu beeinflussen: Kritische Medien werden eingeschränkt oder beseitigt. Die Wirklichkeit wird so zurechtgebogen, dass sie in die eigene Ideologie passt. Selbst offensichtliche Lügen werden verbreitet – und geglaubt!
Wie damals, in Babel, als Nimrod sein Reich ausbauen und festigen wollte – mit einem Turm als sichtbarem Zeichen seiner Macht. Aber Gott hat den Menschen ihre Sprache wiedergegeben. Sie hatten ihre Dialekte – und waren damit unregierbar!
Die „Sprachverwirrung“, die Vielfalt der Sprachen und Dialekte war keine Strafe Gottes für den Hochmut der Menschen. Gott hat vielmehr die Menschen von einem Despoten und seinem Machtsystem befreit.
Sollte Gott mit Macht eingreifen?
Eine wunderbare Erzählung von Gottes Handeln mit den Menschen und für die Menschen. Und ich spüre den Wunsch, dass Gott auch heute noch so mit Macht dazwischenhauen würde…
Aber schon bin ich auf dem Holzweg. Denn: natürlich gehe ich davon aus, dass es die anderen sind, die so hochmütig sind, die diesen Zorn Gottes abbekommen müssen. Entsprechend unvorbereitet würde mich der (sicherlich auch gerechtfertigte) Zorn Gottes treffen.
Ich bin mit solchen Wünschen und Phantasien auf dem Holzweg. Denn die biblischen Erzählungen sind keine historischen Berichte nach unseren Maßstäben. Die Erzählung vom Turmbau haben sich die Menschen über Jahrhunderte erzählt, ehe sie aufgeschrieben wurde. Sie haben sie sich erzählt, weil sie ihnen Kraft gab: die Kraft, aufzustehen gegen Menschen und Strukturen, die die eigene Freiheit einschränken und die Möglichkeit nehmen, nach Gottes Willen leben zu können.
Das ist auch heute noch nötig. Doch dazu brauchen wir Gottes pfingstliche Geistkraft: den Geist der Unterscheidung. Denn nicht alles, was uns einzuschränken scheint, ist auf lange Sicht einschränkend. Das gilt beispielsweise für die Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie: nur durch sie ist auf längere Sicht gewährleistet, dass die Pandemie uns nicht in naher Zukunft beherrscht. Dabei müssen wir die Einschränkungen kritisch betrachten und begleiten und sie mit wachem Verstand umsetzen.
Die Vielfalt hat Gott geschaffen, nicht die Einheitlichkeit und Machtfülle. Gott begleitet uns mit seiner guten Geistkraft, damit wir diese Vielfalt leben und uns in ihr verstehen können. Seien wir aufmerksam, dass wir das Wehen von Gottes Geistkraft wahrnehmen. Möge sie uns helfen, wachsam unsere Welt zu betrachten und für ein Zusammenleben gemäß der Weisungen Gottes einzutreten.
Verstehen trotz unterschiedlicher Sprachen?
– davon können Sie am Samstag lesen.
von Pfarrer Kai Uwe Schröter